In Medien und Literatur erscheinen immer wieder z.T. entstellende und verunglimpfende Beiträge über die Luftfahrtindustrie der DDR, obwohl seit ihrem Abbruch über 50 Jahre vergangen sind. Das
betrifft auch Prof. Brunolf Baade und das erste deutsche Strahlverkehrsflugzeug des Typs 152, welches unter seiner Leitung entstand. Unbedarfte bzw. Selbsternannte mit wenig, zuweilen auch ohne
jeglichen Sachverstand behaupten Unzutreffendes und bedienen damit den gegenwärtigen Zeitgeist. Es ist deshalb gerechtfertigt, die Wahrheit über die 152 und die DDR-Luftfahrtindustrie, die einmal
mehr als 25000 Mitarbeiter zählte, darzustellen.
Sicher liegt vieles aus dieser Zeit im Dunkeln. Wichtige Zeugen leben nicht mehr und nur wenige Originalpapiere sind auffindbar. Bekannt ist, dass die aus der SU zurückkehrenden deutschen Flugzeugbauer, die dort seit 1946 als „lebende Reparation“ gearbeitet hatten, beauftragt wurden, in ihrer Heimat ein Verbindungsflugzeug für die Staatsführung der Sowjetunion (SU) nach dem Vorbild des Typs 150 zu entwickeln. Deutsche Vorstellungen waren dabei nicht gefragt. So entstand Ende 1953, von der SU als Besatzungsmacht initiiert und anfangs auch unterstützt, die Idee eines DDR-Flugzeugbaus. Dabei hat allerdings die DDR-Führung die Probleme ihres geteilten und ausgebluteten Landes zu oberflächlich analysiert. Sie hat den Aufbau der Luftfahrtindustrie nur mangelhaft abgesichert, auf die Beratung, die Hilfe und den späteren Kauf von Verkehrsflugzeugen durch die SU vertraut sowie sich insgesamt einen problemlosen und lukrativen Flugzeugbau vorgestellt.
Dieser, 1954 begonnen, war anfangs durch Arbeitseifer und Optimismus gekennzeichnet. Materiell aber verlief er unter Improvisation, Mängeln und Verzögerungen. Das betraf außer den Werksgründungen den Bau des ersten Versuchsflugzeuges 152V1 und der Antriebe, den TL „Pirna“ 014. Die Versorgung des Unternehmens mit allem Erforderlichen war der große Schwachpunkt. Die SU hielt sich leider nicht an gegebene Zusagen. Sie gab nicht die zuvor beschafften Unterlagen heraus, hielt Informationen zurück, sperrte sich bei Konsultationen und lieferte nicht pünktlich bzw. nicht qualitätsgemäß bestellte Materialien. Trotz ständiger Kontrolle durch „Berater“ nahm sie vor allem ab etwa 1957 eine eher desinteressierte und widersprüchliche Haltung ein.
Trotz widriger Umstände gelang es Prof. Baade, über mehrere Projektausarbeitungen hinweg vom ursprünglichen Verbindungsflugzeug der SU ein für die DDR brauchbares Strahlverkehrsflugzeug zu
entwickeln und dabei die Passagierzahl von ursprünglich 24 auf 73 zu vergrößern. Angestrebte bzw. realisierte konstruktive Lösungen entsprachen üblichem technischen, allerdings nicht immer
international höchstem Niveau. Die Technologie von Strahlflugzeugen war damals in schneller Entwicklung begriffen. Deshalb waren ausgeführte Konstruktionen manchmal in Kürze wieder veraltet.
Gefestigte Vorstellungen zum künftigen Strahlluftverkehr waren erst im Entstehen. Manche Innovation konnten Baades Mitarbeiter nicht realisieren, weil ihnen Mittel und Zeit dazu fehlten. Vieles
scheiterte an Patent- und Lieferschwierigkeiten sowie an den immer wieder neu von der ICAO herausgegebenen Sicherheitsempfehlungen. Versuche zum Import vor allem von Anlagen und Geräten zur
Flugzeuginnenausrüstung schlugen ebenfalls fehl.
Einstromtriebwerke wie das Pirnaer TL 014 hatten einen sehr hohen Kraftstoffverbrauch, welche, wie sich zeigte, die Reichweite der 152 verringert hätten. Deshalb war Prof. Baade früh bestrebt,
ein sparsameres (und leiseres) Zweistromtriebwerk (ZTL) des Typs 015 für die spätere Serie des Flugzeugs zu entwickeln. Dies scheiterte aber, u.a. an den nicht beschaffbaren warmfesteren
Werkstoffen. Die 152V1 erhielt von der SU gelieferte TL RD-9B. So war gewährleistet, dass die zu erprobende Flugzeugzelle mit bereits erprobten TL getestet wurde, wie es allgemein üblich ist. Das
erst 1959 begonnene neue ZTL von Typ 020 wäre zu spät zum Einsatz gelangt. Die 152 hätte so als Serienflugzeug zunächst mit dem „durstigen“ TL 014 bei zwangsläufig schlechteren Flugleistungen
auskommen müssen, bevor das bessere ZTL 020 zur Verfügung gestanden hätte.
Das Vorhaben, nach dem ersten gelungenen Flug die Folgeerprobung der 152V1 mit Werbeflügen zur Leipziger Messe zu verbinden, war unter dem Aspekt weiterer Existenz der Luftfahrtindustrie -es mussten endlich Kaufverträge zur künftigen Serienfertigung des Flugzeugs zustande kommen- wirtschaftlich dringend geboten, technisch aber war es höchst riskant. Es endete bekanntlich mit dem Absturz der 152V1. Das folgende flugfähige Muster 152V4, ausgerüstet mit den TL 014, konnte nach nun fast vier Jahren Verspätung im August/September 1960 ebenfalls zwei Flüge absolvieren. Aber danach festgestellte Unzulänglichkeiten stoppten das Fluggeschehen, auch für die nächste zur Erprobung anstehende Maschine 152V5. So konnte es nicht zum Fortgang der Arbeiten, zu weiteren Flügen und vor allem zu Verkäufen kommen, die ab Flugzeug Nr. 14 vorgesehen waren. Ein zwingender Abbruch der Luftfahrtindustrie durch die DDR-Führung war 1961 die Folge.
Ein Vergleich der 152 mit anderen Verkehrsflugzeugen nach ihren Leistungskenngrößen setzt eine objektive Wertung mit etwa denselben Daten für Erstflugzeitpunkt, Flugweite und Größe bzw. Startmasse sowie Kosten voraus. Typenvergleiche unter anderen Bedingungen, wie sie mitunter durchgeführt werden, sind unseriös. Die 152 war nach ihrem Erststart am 4. Dezember 1958 erst der fünfte Typ eines fliegenden, allerdings noch längst nicht ausgereiften Strahlverkehrsflugzeuges. Danach hätte die 152 neben anderem Fluggerät bei nicht allzu günstigen, aber doch brauchbaren Kenngrößen international um 1965 auf Mittelstrecken erfolgreich eingesetzt werden können. Ein Mehr an Zeit und Innovationen -all dies hatte die auf sich allein gestellte DDR leider nicht mehr- hätte beim Flugzeug und seinen Leistungen zu weiteren Verbesserungen geführt.
Der sicher nicht grundlegend falsche Gedanke, in der DDR das von früher vorhandene Potential des Flugzeugbaus erneut zu aktivieren und in dem rohstoffarmen Land eine Hochtechnologieproduktion aufzuziehen, erwies sich letztlich als Illusion. Die gründliche Analyse der wirtschaftlich-materiellen Situation der DDR unterblieb, wie ebenso die wirksame Hilfe durch SU und RGW. Gleiches gilt für die im Zusammenhang damit in dieser Zeit von der DDR-Führung oft zitierte, später aber wieder verschwiegene Losung des „Überholens ohne einzuholen“. Dem gegenüber war der Ausspruch Prof. Baades vom „Überschätzen der eigenen Kräfte“ ehrlich gemeint, er durfte allerdings nicht veröffentlicht werden. Fest steht: Die wirtschaftlichen Potenzen der DDR allein reichten für ein so bedeutendes Großprojekt des rentablen Baus moderner Verkehrsflugzeuge, der Typen 152 und 153 einschließlich ihrer Antriebe und Ausrüstungen, nicht aus.
Der Rücktritt der SU vom Kauf der 152 und anderer Flugzeuge aus der DDR widersprach jeglichen seriösen Gepflogenheiten zwischen Partnern und zeugte vom nachwirkenden Besatzungsrecht zum Schaden für die DDR. Die SU hat den Flugzeugbau eingeleitet, ihn anfangs gut geheißen,wiederholt Änderungen angeordnet und ihn die gesamte Zeit über durch „Berater“ kontrolliert, dann aber im Juni 1959 ihren Rücktritt vom Kauf der Flugzeuge erklärt. Für die DDR bedeutete das zunächst eine Orientierung nach neuen Absatzmärkten. Sie aber zeigte letztlich, dass die dabei ermittelte geringe Stückzahl von Flugzeugen selbst eine wirtschaftliche Kleinserienfertigung auf geringstem Niveau nicht zuließ. Dies führte neben den eigenen Unzulänglichkeiten zum Ende des Flugzeugbaus.
Die SU erreichte durch den ausschließlichen Einsatz ihrer Verkehrsflugzeuge das Monopol in der Zivilluftfahrt der östlichen Staatengruppierung. Sie hatte somit einen beträchtlichen Anteil daran, dass damit die letzte große historisch gewachsene und leistungsfähige Mannschaft deutscher Flugzeugbauer unter der Führung von Prof. Baade aufgelöst wurde. Zugleich hatte sie sich einen Konkurrenten aus der Welt geschafft. Für die DDR war ein Verlust von 1,6 ... 2,0 Milliarden DM entstanden, welcher der übrigen Volkswirtschaft fehlte. Ein System, welches so unachtsam mit Bildung, Forschung, Präzisionsarbeit, Innovationen und nicht zuletzt auch mit finanziellen Mitteln umgeht, steuert gesetzmäßig auf einen Niedergang zu.
Dr. Reinhard Müller
Dresden, im Oktober 2012
Interessengemeinschaft Luftfahrt
Ehrengrabstelle der Besatzung der 152 V1 auf dem neuen Friedhof in Dresden-Klotzsche
Foto: Dietmar Otto
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